30. November 2020 / Baurecht | Planungsrecht | Natur- und Umweltrecht
Verstoß gegen Vorschriften des Abstandflächenrechts der Landesbauordnung durch Überbau

Aus den Urteilsgründen (Auszug):

Die Kläger begehren ein bauaufsichtliches Einschreiten wegen eines Überbaus.

Sie sind seit 1997 Eigentümer des Grundstücks A-Straße 38 in B (Gemarkung B, Flur 4, Flurstück 32/14), das sie von Herrn C erworben haben. Das westliche Nachbargrundstück A-Straße 36 (Gemarkung B, Flur 4, Flurstücke 32/10 und 32/12), steht seit 2002 im Eigentum der Beigeladenen, die es in der Zwangsversteigerung erworben hat. Zuvor waren Herr und Frau D Eigentümer. Auf dem Flurstück 32/10 steht das Wohnhaus, auf dem Flurstück 32/12 das hier streitgegenständliche überbaute Gebäude. Das südlich anschließende Flurstück 32/19 steht seit 2006 ebenfalls im Eigentum der Beigeladenen.

Das streitgegenständliche Gebäude steht auf dem südlichen – rückwärtigen – Teil der gemeinsamen Grundstücksgrenze, die zwischen den Flurstücken 32/12 und 32/14 verläuft. Es handelt sich um ein massives zweigeschossiges Gebäude mit einer Grundfläche von etwa 100 qm, das mit etwa 30 qm auf das Grundstück der Kläger reicht und im Übrigen teilweise auf dem Flurstück 32/12 und teilweise auf dem Flurstück 32/19 steht. Die Überbauung ergibt sich aus der Niederschrift über einen Grenztermin vom 27. Juni 1994, bei dem durch Abtrennung von der südlich angrenzenden Fläche das heutige Wohngrundstück der Kläger gebildet wurde.

Mit Prüfbescheid von 1987 war eine Baugenehmigung für ein Stallgebäude als Bauwerk der Bevölkerung erteilt worden, und zwar zu Gunsten von Herrn E, der seinerzeit Eigentümer des Wohnhauses auf dem Flurstück 32/1 war, dem Vorgängerflurstück des heutigen Flurstücks 32/10. Bauvorlagen zu dem Prüfbescheid sind nicht vorhanden; eine Flurstücks-Nr. ist nicht genannt. Bis 1995 wurde das Gebäude teilweise für eine Wohnnutzung hergerichtet; eine Genehmigung hierfür liegt nicht vor. Darauf wird auch in dem Wertgutachten zur Zwangsversteigerung hingewiesen; im Übrigen hieß es dort, das Gebäude befinde sich im anfänglichen Ausbaustadium; laut Eigentümer gebe es eine Zustimmung des Eigentümers des Flurstücks 32/14 zur Grenzbebauung.

Das Gebäude dient aktuell als Nebengebäude, nach den Angaben der Beigeladenen zum Abstellen von Gartengeräten. Das Obergeschoss wird nicht genutzt. 2013/2014 fanden Baumaßnahmen am Dach statt, nach den Angaben der Beigeladenen zur Beseitigung eines Sturmschadens.

Die Kläger wandten sich 2003 an die Bauaufsichtsbehörde mit der Bitte um Überprüfung und Veranlassung eines Rückbaus und baten zuletzt „um weitere Veranlassung ggf. um rechtsmittelfähige Entscheidung“. An dem eingeleiteten Verwaltungsverfahren wurde die Beigeladene beteiligt. Nach einer Vor-Ort-Kontrolle lehnte der Beklagte ein Einschreiten formlos ab. Die Beigeladene habe zugesichert, dass das Gebäude keiner Hauptnutzung zugeführt werde. Der Beklagte wies auf das Subsidiaritätsprinzip und die Möglichkeit der Klärung auf zivilrechtlichem Weg hin.

2011 beantragten die Kläger förmlich gegenüber dem Beklagten, eine Abrissverfügung zu erlassen. Daraufhin wurde erneut eine Ortsbesichtigung durchgeführt, bei der keine Veränderung seit 2004 festgestellt wurde, bis auf die Beseitigung der Fenster bzw. das Verschließen der Fensteröffnungen zur Grundstücksseite der Kläger. Mit Bescheid vom 27. Januar 2011 lehnte der Beklagte ein bauaufsichtliches Einschreiten ab. Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2012 zurück.

Die am 21. September 2012 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 11. Dezember 2014 abgewiesen. Die Kläger hätten einen etwaigen öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch materiellrechtlich verwirkt. Es sei davon auszugehen, dass das Stallgebäude entsprechend dem Prüfbescheid noch im Jahr 1987 errichtet worden sei, der heutige Ausbauzustand aber wohl ohne weitere Baugenehmigung erst 1995 hergestellt worden sei. Danach seien nur noch Instandhaltungsarbeiten durchgeführt worden, u. a. in Gestalt des Aufbringens einer Holzlattung, die auch schon zuvor vorhanden gewesen sei, und des Ersetzens der vorhandenen Pappbedachung durch Blechprofile. Eine materiellrechtliche Verwirkung möglicher Abwehrrechte der Kläger ergebe sich daraus, dass bereits in dem Grenztermin am 27. Juni 1994 die Überschreitung der Katastergrenze festgestellt worden sei, der Voreigentümer der Kläger aber weder zu diesem Zeitpunkt noch beim weiteren Ausbau des Gebäudes Einwendungen dagegen erhoben habe; die Kläger selbst hätten sich nach dem Schriftverkehr in den Jahren 2003 und 2004 erst wieder 2011 an die Bauaufsichtsbehörde gewandt. Nach so langer Zeit hätten der Rechtsvorgänger der Beigeladenen bzw. diese selbst darauf vertrauen dürfen, dass der Eigentümer etwaige Abwehrrechte nicht mehr geltend machen werde. Es sei auch davon auszugehen, dass diese tatsächlich darauf vertraut hätten, und sich in Folge dessen in ihren Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hätten, dass ihnen durch die späte Durchsetzung des Rechtes ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Aufgrund des langen Zeitablaufs hätten in gewissem Umfang schon wieder Erhaltungs- und Reparaturmaßnahmen (z. B. Sturmschaden) durchgeführt werden müssen. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals hilfsweise beantragt hätten, den Beklagten zu verpflichten, die zur Einhaltung der brandschutzrechtlichen Vorschriften erforderlichen Maßnahmen zu treffen, fehle es an dem erforderlichen Vorverfahren.

Die Kläger haben die zugelassene Berufung wie folgt begründet.

Der Abwehranspruch sei nicht verwirkt. Es handele sich um ein formell illegales Gebäude, weil die Genehmigung von 1987 ein völlig anderes Objekt betreffe. Das Gebäude sei auch materiell illegal, weil es im Außenbereich liege und nicht privilegiert sei. Dieser Zustand sei durch eine vollständige Dacherneuerung 2013/2014 verfestigt worden. Die Beigeladene habe eine völlig neue Dachlattung aufgebracht und die Eindeckung nicht mehr wie zuvor mit Dachpappe, sondern mit Wellblech vorgenommen. Sie habe den Dachaufbau geändert und in die Statik eingegriffen. Die Nichteinhaltung der Abstandflächen begründe eine Verletzung subjektiver Rechte der Kläger. Die Bebaubarkeit des rückwärtigen Bereichs ihres Grundstücks werde erheblich beeinträchtigt. Hinzu komme die erhebliche optische Beeinträchtigung durch das mehr als 7 m hohe und 20 m lange Gebäude, das ihr Grundstück auch erheblich beschatte. Das Ermessen des Beklagten sei auf Null reduziert. Jedenfalls aber habe er den Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten neu zu bescheiden.

Der Beklagte trägt vor: Die Kläger hätten keinen Anspruch auf den Erlass einer Beseitigungsverfügung, hilfsweise von brandschutzrechtlichen Anordnungen. Er habe von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und sich gegen den Erlass einer bauaufsichtlichen Anordnung entschieden. Der Fall weise mehrere Besonderheiten auf. Hierzu gehöre der lange Zeitraum von 16 Jahren zwischen der Errichtung des Gebäudes als Stallgebäude 1987 und der erstmaligen Anzeige durch die Kläger 2003. Es spreche Überwiegendes dafür, dass ein nachbarliches Abwehrrecht verwirkt sei. Die Beigeladene dürfe mittlerweile auf die Beibehaltung des jahrelang unbeanstandet gebliebenen Gebäudezustands vertrauen; dieses Vertrauen sei schützenswerter als das Interesse der Kläger am Erlass einer Beseitigungsanordnung. Zudem sei das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde nicht im Sinne eines Einschreitens auf Null reduziert, weil der hierfür erforderliche Grad der Schwere der Beeinträchtigung nicht erreicht werde. Als Nebengebäude würde das Gebäude in einem geringeren Ausmaß und etwas weiter nördlich angeordnet auch heute noch bauplanungsrechtlich zugelassen werden. Die Überbauung nehme mit etwa 1,3 % nur einen geringen Teil ihres Grundstücks ein. Die Einschränkung der Bebaubarkeit sei nicht gravierend; eine Bebauung mit einem Hauptgebäude komme in dieser Grundstückstiefe ohnehin nicht in Betracht. Zudem seien die Kläger bereits in dem Ablehnungsbescheid auf den Privatrechtsweg verwiesen worden. Auch andere Flächen in der Nachbarschaft seien von einer Überbauung betroffen. Ein zwingendes baurechtliches Bedürfnis, den Ortsteil im Hinblick auf alle Überbauungstatbestände bauaufsichtlich neu zu ordnen, bestehe nicht. Mit diesen Überlegungen werde die im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid vorgenommene Ermessensausübung lediglich ergänzt.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

Vor der hiesigen gerichtlichen Auseinandersetzung waren die Kläger auch zivilrechtlich gegen die Beigeladene vorgegangen. Sie hatten zunächst 2004 beim Amtsgericht Stralsund zum Az. 5 C 197/04 den Anspruch auf Räumung eines nach dem Ergebnis des Grenztermins zu viel eingefriedeten Grundstücksteils geltend gemacht; in diesem Verfahren war ein Anerkenntnisurteil ergangen. In einem weiteren zwischen den Beteiligten geführten Zivilrechtsstreit hatte das Amtsgericht Stralsund mit Urteil vom 17. Januar 2012 zum Az. 12 C 203/12 die Klage der Kläger gegen die Beigeladene auf Herausgabe des überbauten Grundstücksteils als unbegründet abgewiesen, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme Herr C als Rechtsvorgänger der Kläger eine nachträgliche Zustimmung zur Überbauung erteilt habe und der Überbau deshalb nicht rechtswidrig sei; im Übrigen hatte das Amtsgericht eine Verwirkung des Anspruchs angenommen, weil die Kläger gegen die Rechtsvorgänger der Beigeladenen nicht vorgegangen seien und auch nach dem Erwerb durch die Beigeladene gerichtlich zunächst nur die Herausgabe des zu viel eingefriedeten Grundstücksteils verlangt hätten.

Die Berufung der Kläger wurde zurückgewiesen.

Aus den Gründen:

Die zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. … I. Der Hauptantrag hat keinen Erfolg. …

Die Entscheidung des Beklagten, den Erlass einer Beseitigungsverfügung abzulehnen, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ein Anspruch auf entsprechendes bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten gegen die Beigeladene steht ihnen nicht zu; sie können auch keine Neubescheidung verlangen.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Erlass einer Beseitigungsverfügung ist § 80 Abs. 1 Landesbauordnung (LBauO M-V). Danach kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Macht der Nachbar einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten geltend, so kommt es darauf an, ob die bauliche Anlage öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht, die zumindest auch seinem Schutz zu dienen bestimmt sind.

a) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 80 Abs. 1 LBauO M-V für ein Einschreiten zu Gunsten der Kläger liegen vor. Das streitgegenständliche Gebäude widerspricht nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Rechts, weil es mit dem Abstandflächenrecht nicht in Einklang steht (§ 6 LBauO M-V).

aa) Ein Widerspruch zu nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts besteht nicht bereits deshalb, weil nach den im Grenztermin am 27. Juni 1994 getroffenen Feststellungen ein Überbau auf das Grundstück der Kläger vorliegt.

Der Senat geht mit der wohl einhelligen Rechtsprechung davon aus, dass allein die zivilrechtlichen Regelungen der §§ 912 ff. BGB, nicht aber das öffentliche Recht gegen die in einem Überbau liegende Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks schützen (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 17.2.1992 – 5 S 144/92, juris Rn. 5 f.; VGH München, Beschl. v. 29.11.2006 – 1 CS 06.2717, juris Rn. 22; VG Hamburg, Urt. v. 12.11.2015 – 7 K 2387/12, juris Rn. 41; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 12.11.2013 – 6 K 2397/12, juris Rn. 39 f.; wohl nur scheinbar a.A. VG Saarlouis, Urt. v. 16.5.2007 – 5 K 46/06, juris Rn. 28, weil Streitgegenstand dort nicht ein Abwehranspruch des Nachbarn war, sondern eine von der Bauaufsichtsbehörde gestützt auf § 5 Abs. 2 BauO SL – entspricht § 4 Abs. 2 LBauO M-V – erlassene Beseitigungsverfügung).

Der Grund hierfür liegt nicht etwa darin, dass die zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 912 ff. BGB als Sonderregime eine Art Sperrwirkung entfalten würden oder das austarierte Regelungsgefüge der §§ 912 ff. BGB bei Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften des Baunachbarrechts durch abweichende Rechtsfolgen gestört werden könnte, in dem Sinne dass das Zusammentreffen eines öffentlich-rechtlichen Beseitigungsanspruchs mit einer zivilrechtlichen Duldungspflicht des Nachbarn nach § 912 Abs. 1 BGB zu einem Wertungswiderspruch führen würde (so aber VG Hamburg Urt. v. 12.11.2015 – 7 K 2387/12, juris Rn. 41 f., 44). Denn grundsätzlich stehen der zivilrechtliche und der öffentlich-rechtliche Nachbarschutz unabhängig nebeneinander. Ein unabhängiges Nebeneinander von Zivilrecht und öffentlichem Recht – mit jeweils unterschiedlichen, nicht aufeinander abgestimmten Rechtsfolgen – wird übrigens auch in Fällen der Verletzung der Abstandflächen angenommen. Denn im Zivilrecht wird davon ausgegangen, dass die §§ 912 ff. BGB auf diese Fällen entsprechend anwendbar sind (vgl. nur Vollkommer, in: BeckOGK BGB Stand 1.1.2019 § 912 Rn. 89).

Maßgeblich ist vielmehr, dass der Überbau keine nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts verletzt (vgl. VGH Mannheim Beschl. v. 17.2.1992 – 5 S 144/92, juris Rn. 5; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 12.11.2013 – 6 K 2397/12, juris Rn. 39). Das Bauordnungsrecht ist den Eigentumsverhältnissen gegenüber neutral. Die Baugenehmigung wird gemäß § 72 Abs. 5 LBauO M-V unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt. Auch eine Baugenehmigung, die ein Vorhaben zulässt, das in Form eines Überbaus teilweise auf dem Grundstück des Nachbarn errichtet werden soll, kann deshalb nicht mit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage abgewehrt werden (VGH Mannheim, Urt. v. 4.3.1996 – 5 S 1798/95, juris Rn. 22 f.; Johlen, in: Gädtke u. a., BauO NRW, § 4 Rn. 101; vgl. a. Möller/Bebensee, Bauordnungsrecht S-H, § 78 Rn. 123). Auch im Falle eines ohne Genehmigung errichteten Gebäudes sind die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden nicht von Bedeutung.

Soweit nach § 4 Abs. 2 LBauO M-V ein Gebäude auf mehreren Grundstücken nur zulässig ist, wenn öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass dadurch keine Verhältnisse eintreten können, die Vorschriften dieses Gesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes widersprechen, ist diese Vorschrift nicht nachbarschützend (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. v. 12.11.2013 – 6 K 2397/12, juris Rn. 41 f. mwN).

bb) Das streitgegenständliche Gebäude widerspricht aber nachbarschützenden Vorschriften des Abstandflächenrechts (§ 6 LBauO M-V). Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Diese müssen auf dem Grundstück selbst liegen, § 6 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V. Dass das Gebäude sich teilweise als Überbau darstellt, hindert die Anwendung dieser Vorschriften nicht. Die gesetzliche Vorgabe, dass Abstandflächen auf dem Baugrundstück selbst liegen müssen, dient nicht dazu, einen Überbau abzuwenden, bezweckt aber auch nicht, einen Überbau besser zu stellen als ein an der Grenze stehendes Gebäude. Bei der Anwendung der Vorschriften des Abstandflächenrechts ist deshalb der Überbau wie ein Grenzanbau zu behandeln (vgl. VGH München, Beschl. v. 24.8.2016 – 9 CS 15.1695, juris Rn. 21). Auch im Falle eines Überbaus ist die Frage der Einhaltung der Abstandflächen zu prüfen (vgl. VGH München, Beschl. v. 29.11.2006 – 1 CS 06.2717, juris Rn. 23 ff.: Abstandflächenverletzung bejaht; VGH München Beschl. v. 24.8.2016 – 9 CS 15.1695, juris Rn. 17, 21; VGH Mannheim, Urt. v. 4.3.1996 – 5 S 1798/95, juris Rn. 3, 24; OVG Münster, Beschl. v. 23.11.2018 – 7 A 940/17, juris Rn. 12; OVG Saarlouis, Beschl. v. 8.12.2010 – 2 B 308/10, juris Rn. 15; VG Hamburg, Urt. v. 12.11.2015 – 7 K 2387/12, juris Rn. 56, 57: Abstandflächenverletzung oder Abwehranspruch des Nachbarn jeweils verneint).

Nach § 6 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V beträgt die Tiefe der Abstandfläche 0,4 H, wobei das Maß H der Wandhöhe von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand entspricht, mindestens aber 3 m. Diesen Vorgaben entspricht das streitgegenständliche Gebäude nicht, weil es Flächen in Anspruch nimmt, die bis an die Grundstücksgrenze – und darüber hinaus – reichen. Das Gebäude ist auch nicht gemäß § 6 Abs. 8 Satz 1 LBauO M-V als abstandflächenrechtlich privilegiertes Nebengebäude an der Grundstücksgrenze zulässig, weil es die maximal zulässige mittlere Wandhöhe von 3 m überschreitet.

b) Dem Erlass einer Beseitigungsverfügung stehen keine Gründe des Bestandsschutzes entgegen. Das Gebäude ist nicht durch eine Baugenehmigung formell legalisiert. Ein Beseitigungsverlangen ist nicht nach den Vorschriften der Verordnung über Bevölkerungsbauwerke im Sinne eines „faktischen Bestandsschutzes“ ausgeschlossen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Gebäude materiell-rechtlich Bestandsschutz genießt. …

bb) Eine Anwendung von § 11 Abs. 3 der Verordnung über Bevölkerungsbauwerke vom 8. November 1984 (GBl DDR I S. 433) kommt nicht in Betracht. Die Vorschrift gewährte einen „faktischen Bestandsschutz“ gegen Beseitigungsanordnungen für widerrechtlich errichtete Gebäude, wenn seit der Fertigstellung des Bauwerks fünf Jahre vergangen waren. Dieser Schutz kann jedoch nur fortwirken, wenn noch während der Geltung der Verordnung, also vor dem 1. August 1990 (Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes über die Bauordnung), die Fünfjahresfrist seit Fertigstellung des Bauwerks abgelaufen war. Denn nur in diesem Fall hatte der Betroffene bei Außerkrafttreten der Verordnung bereits eine schützenswerte Rechtsposition erreicht, die ihm nicht nachträglich wieder genommen werden kann (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 14.8.2013 – 3 L 4.08, juris Rn. 102; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.6.2017 – OVG 10 N 27.14, juris Rn. 25 mwN). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor, weil das Gebäude erst ab 1987 errichtet wurde.

cc) Dass das Vorhaben zu irgendeinem Zeitpunkt ab dem 3. Oktober 1990 – auf die Rechtslage zu DDR-Zeiten kann das Konzept der bloß materiellen Legalität nicht angewendet werden – materiell legal war und deshalb als bestandsgeschützt anzusehen wäre, ist nicht ersichtlich.

c) Der Senat geht davon aus, dass die Kläger nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert sind, wegen der Verletzung der Abstandflächen den Erlass einer Beseitigungsanordnung zu verlangen.

aa) Grund hierfür ist, dass die überbaute Grundstücksgrenze zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes nicht bestand, sondern zu diesem Zeitpunkt die Flächen der heutigen Flurstücke 32/12 und 32/14 ein einheitliches Buchgrundstück bildeten, dessen Eigentümer die Eheleute C und damit die Rechtsvorgänger der Kläger waren.

Das streitgegenständliche Gebäude wurde offenbar bereits 1987 errichtet. …

Die ausführlichen Erläuterungen des zuständigen Mitarbeiters des Fachdienstes Kataster und Vermessung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, gestützt auf zahlreiche Unterlagen, die – soweit wesentlich – in Kopie zu den Akten genommen wurden, haben den Vortrag des Beklagten bestätigt, dass die überbaute Grundstücksgrenze 1987 als solche nicht bestand, sondern der Standort des Gebäudes sich insgesamt auf einem einheitlichen Buchgrundstück befand. …

Im Hinblick auf die gute Dokumentation der Eigentumsfolge hat der Senat gleichwohl keine Zweifel daran, dass das streitgegenständliche Gebäude 1987 auf einem einheitlichen Buchgrundstück errichtet wurde, das im Eigentum der Eheleute C stand.

Der Senat geht deshalb davon aus, dass der Rechtsverstoß erst nachträglich dadurch entstanden ist, dass im Jahr 1993 eine Teilung des Grundstücks erfolgte: Das Flurstück 32/6 (Vorgängerflurstück zu 32/12) wurde von den Eheleuten C an Herrn E veräußert, das Flurstück 32/5 (Vorgängerflurstück zu 32/14) an die dänische Firma G. Dass bereits zuvor getrennte Flurstücke bestanden, mag diese Auswirkung verschleiert haben, ändert aber nichts daran, dass erst die Eigentumsübertragung zur Entstehung gesonderter Buchgrundstücke und damit einer Grundstücksgrenze zwischen diesen führte, die die Frage der Einhaltung der Abstandflächen aufwarf. Damit ist der Verstoß den seinerzeitigen Eigentümern, den Eheleuten C, sowie den Erwerbern zuzurechnen; diese waren hinsichtlich des Flurstücks 32/5 auch mittelbare Rechtsvorgänger der Kläger. Hätten diese aber nach Treu und Glauben keinen Abwehranspruch geltend machen können, weil sie den Widerspruch zu den öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Abstandflächenrechts selbst herbeigeführt hatten, so muss dies auch für ihre Rechtsnachfolger gelten, denen nicht ein Mehr an Rechten zustehen kann als ihren Rechtsvorgängern.

bb) Ob ansonsten ein Fall der Verwirkung vorliegen würde, kann offen bleiben.

Die Verwirkung als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Berechtigte ferner darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand) und sich in Folge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (Vertrauensbetätigung). Das Verhalten des Berechtigten muss beim Verpflichteten also nicht nur die Vorstellung begründet haben, dass das Recht nicht mehr geltend gemacht werde; der Verpflichtete muss sich hierauf auch tatsächlich eingerichtet haben. Diese Grundsätze, wonach ein Rechtsverlust durch Verwirkung nur dann eintritt, wenn die verzögerte Geltendmachung des Rechts ursächlich für bestimmte Dispositionen des Verpflichteten ist und gerade im Hinblick auf das durch Untätigkeit des Berechtigten geschaffene und betätigte Vertrauen des Verpflichteten die verspätete Geltendmachung des Rechts treuwidrig erscheint, gelten auch im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis zwischen Bauherrn und Grundstücksnachbarn (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.9.2018 – 5 B 34.18, juris Rn. 15; Urt. v. 16.5.1991 – 4 C 4.89, juris Rn. 21, 28; vgl. a. OVG Greifswald, Urt. v. 2.11.2005 – 1 L 105/, juris Rn. 81). Die für die Verwirkung nachbarlicher Abwehrrechte erforderlichen Voraussetzungen eines Vertrauenstatbestandes und einer Vertrauensbetätigung können auch in der Zeit nach Fertigstellung eines Bauvorhabens erfüllt werden, insbesondere wenn der umstrittene Baubestand über lange Jahre vom Nachbarn „widerspruchslos“ hingenommen worden ist und der Bauherr in dieser Zeit z. B. Erhaltungsaufwendungen getätigt hat. Dabei spielt ein Eigentumswechsel keine Rolle, da die jeweiligen Abwehrrechte dinglich, d. h. auf die beteiligten Grundstücke bezogen sind, so dass der neue Eigentümer in die Rechtsstellung des früheren einrückt (vgl. OVG Magdeburg, Beschl. v. 4.6.2012 – 2 L 56/11, juris Rn. 7 mwN). Auch der Erwerb in der Zwangsversteigerung unterbricht diesen Zusammenhang nicht (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 5.11.2001 – 3 M 93/01, juris Rn. 34 ff.).

Im vorliegenden Fall ist mit einer Dauer von mindestens etwa neun Jahren zwischen 1994 (Feststellung des Überbaus im Grenztermin) und 2003 (Benachrichtigung der Beigeladenen von der Geltendmachung eines Abwehrrechts durch die Kläger) eine für eine Verwirkung hinreichend lange Untätigkeit anzunehmen. In der Person der Beigeladenen bzw. ihrer Rechtsvorgänger ist ferner eine Vertrauensgrundlage entstanden, weil für sie erkennbar die Überbauproblematik in der Grenzniederschrift dokumentiert und mit dem Grenztermin dem Rechtsvorgänger der Kläger bekannt geworden war, ohne dass dieser daraufhin – wozu er aufgrund der besonderen Pflichten im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis gehalten gewesen wäre – zeitnah Abwehransprüche geltend gemacht hätte. Ob auch von einem Vertrauenstatbestand dahingehend auszugehen ist, dass die Beigeladene bzw. ihre Rechtsvorgänger tatsächlich darauf vertraut haben, dass ein Abwehrrecht nicht mehr ausgeübt werde – die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, das Beseitigungsverlangen gegenüber Herrn D angesprochen zu haben, der seinerseits der Lebensgefährte der Beigeladenen gewesen sei; in seiner Vernehmung als Zeuge vor dem Amtsgericht Stralsund am 1. November 2012 hatte Herr D sich an ein solches Gespräch nicht erinnern können –, kann offen bleiben.

Ebenso kann offen bleiben, ob eine Vertrauensbetätigung der Beigeladenen oder ihrer Rechtsvorgänger vorliegt, diese also vermögenswirksame Dispositionen vorgenommen haben, deren Rückgängigmachung oder Verlust ihnen nicht zuzumuten wäre (vgl. VGH Kassel, Urt. v. 25.6.2014 – 3 A 1024/13, juris Rn. 49 mwN). Zu nach dem 27. Juni 1994 getätigten Ausbaumaßnahmen liegen keine Feststellungen vor. Das Verschließen von Fenstern zur Grundstücksseite der Kläger ist eine zu geringfügige Maßnahme. Erhaltungs- und Reparaturmaßnahmen sind nicht belegt und können auch nicht im Hinblick auf den verstrichenen Zeitraum unterstellt werden, weil das Gebäude offenbar kaum genutzt wurde. Die größere Reparatur am Dach, die nach den Angaben der Beigeladenen einen Kostenumfang von 7.000 Euro hatte, betraf einen erst 2013 eingetretenen Sturmschaden; zu diesem Zeitpunkt hatten die Kläger nachbarliche Abwehrrechte bereits geltend gemacht. Als eine Vermögensdisposition der Beigeladenen, mit der sie etwaiges Vertrauen betätigt hat, kommt allerdings der Erwerb des Grundstücks in der Zwangsversteigerung im Jahr 2002 in Betracht (zum Grundstückserwerb als Vertrauensbetätigung s. OVG Koblenz, Urt. v. 9.4.2014 – 8 A 11183/13, juris Rn. 35, 40). Dieser dürfte zwar vorrangig auf das Wohngrundstück abgezielt haben; auf das Nebengebäude entfiel nach dem Wertgutachten aber immerhin ein Wertansatz von knapp 64.000 DM. Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht entscheidungserheblich an.

d) Auch wenn die Geltendmachung nachbarlicher Abwehransprüche nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein sollte, haben die Kläger keinen Anspruch auf den Erlass einer Beseitigungsanordnung. Den ihnen dann lediglich zustehenden Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hat der Beklagte erfüllt.

aa) Das im Rahmen von § 80 Abs. 1 LBauO M-V eröffnete Ermessen ist nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich in Richtung auf ein behördliches Einschreiten gegen bauordnungswidrige Zustände intendiert. Das bedeutet, dass in Fällen, in denen bauliche Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden sind, das bauaufsichtliche Einschreiten die Regel ist, dass also normalerweise keine gleichwertigen Gründe für die Beseitigung und für die Belassung der fraglichen rechtswidrigen baulichen Anlage vorhanden sind, zwischen denen die Bauaufsichtsbehörde mehr oder weniger frei zu wählen hätte. Hierfür spricht der Ermessenszweck, der auf die Herstellung rechtmäßiger Zustände gerichtet ist. Rechtmäßige Zustände können aber, wenn eine nachträgliche Legalisierung der Anlage nicht in Betracht kommt, regelhaft nur durch ein bauaufsichtliches Einschreiten hergestellt werden (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 18.4.2012 – 3 L 3/08, juris, Rn. 98 mwN; OVG Hamburg, Urt. v. 11.11.2009 – 2 Bf 201/06, juris Rn. 40).

Das schließt nicht aus, dass die Behörde in Fällen, in denen – ausnahmsweise – besondere vom Normalfall abweichende Umstände vorhanden sind, diese auch zur Kenntnis nimmt und bei ihrer Entscheidung im Rahmen der zu treffenden Abwägung entsprechend berücksichtigt (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 18.4.2012 – 3 L 3/08, juris, Rn. 98 mwN). So hat der Senat bereits entschieden, dass die Anordnung eines Rückbaus unverhältnismäßig sein kann, wenn die Kosten und die Auswirkungen auf das Gebäude in keinem Verhältnis zu den beeinträchtigten Belangen stehen (OVG Greifswald, Urt. v. 18.4.2012 – 3 L 3/08, juris, Rn. 104).

Dritten vermittelt § 80 Abs. 1 LBauO M-V grundsätzlich nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde. Werden durch die Baurechtswidrigkeit einer baulichen Anlage zugleich Nachbarrechte verletzt, so hat der Nachbar jedoch regelmäßig einen Anspruch auf ein Einschreiten der Behörde. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Rechtsverletzung auch zu einer Beeinträchtigung seines Eigentums führt (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 14.11.2013 – 3 M 222/13, juris Rn. 16 f.). Anders verhält es sich jedoch, wenn Besonderheiten des konkreten Falles einem Anspruch auf bauordnungsrechtliches Einschreiten entgegenstehen können (zu einem solchen Fall vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 2.7.2003 – 3 L 157/02, BRS 66 Nr. 198). So liegt der Fall hier.

bb) Ein in Richtung auf ein Einschreiten intendiertes Ermessen und ein entsprechender Anspruch des Nachbarn sind hier aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls zu verneinen. Das Gebäude wurde bereits zu DDR-Zeiten errichtet, als der Beachtung der Grundstücksgrenzen nicht dieselbe Bedeutung beigemessen wurde wie heute; die näheren Umstände der Errichtung sind nicht vollständig geklärt. Die Abstandflächenverletzung war dem Eigentümer des Nachbargrundstücks bereits seit etwa neun Jahren bekannt, bevor sein Rechtsnachfolger sich erstmals hiergegen wendete; ob bereits die Voraussetzungen für eine Verwirkung des nachbarlichen Abwehranspruchs vorliegen, ist für die Heranziehung dieses Umstandes als Ermessensgesichtspunkt nicht maßgeblich. Vor allem aber haben die Kläger ihr Grundstück in Kenntnis des bestehenden Gebäudes auf dem Nachbargrundstück erworben. Dass sie seinerzeit nach eigenen Angaben im Irrtum über den Grenzverlauf waren, ändert daran nichts. Unabhängig davon, dass dieser Umstand jedenfalls im Verhältnis zum Beklagten und der Beigeladenen in ihrem eigenen Verantwortungsbereich liegt, gingen sie davon aus, dass die Grundstücksgrenze entlang der Außenwand des Gebäudes verläuft, täuschten sich also über das Bestehen eines Überbaus, rechneten aber mit einer Grenzbebauung. Vor diesem Hintergrund zielte auch die Geltendmachung eines nachbarlichen Abwehranspruchs zunächst und primär auf eine etwaige illegale Wohnnutzung des Gebäudes sowie auf die Überbauung der Grundstücksgrenze, nicht aber auf eine Verletzung der Abstandflächen allein durch den Baukörper.

Die Beeinträchtigung nachbarlicher Belange ist ferner nach den konkreten örtlichen Verhältnissen nicht von hohem Gewicht. Das die Abstandflächen verletzende Gebäude hat mit etwa 28 m eine nicht unerhebliche Entfernung vom Wohnhaus der Kläger. Es dient keiner Hauptnutzung und darf – dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig – einer solchen auch nicht zugeführt werden, sondern stellt ein Nebengebäude dar, von dessen Nutzung zu Abstellzwecken keine Beeinträchtigungen ausgehen. Das Gebäude liegt ferner im rückwärtigen Grundstücksbereich, in dem eine Hauptnutzung auch auf dem Grundstück der Kläger bauplanungsrechtlich nicht zulässig ist. Schließlich handelt es sich um einen Bereich mit großzügigen Grundstückszuschnitten und aufgelockerter Bebauung außerhalb von Ballungszentren und ohne hohen Baudruck, so dass das die Abstandflächen verletzende Gebäude einer Erweiterung der Hauptnutzung auf dem Grundstück der Kläger nicht entgegensteht. Auch die Verschattungswirkungen sind im Hinblick auf die Entfernung vom Wohnhaus der Kläger und die Größe von deren Grundstück nicht von hohem Gewicht.

Auf die Frage, ob in einer solchen Situation auch ein Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde ermessensfehlerfrei möglich wäre (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.6.2017 – OVG 10 N 27.14, juris: dort bejaht), kommt es nicht an.

cc) Der Beklagte hat sein – im konkreten Fall nicht intendiertes – Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Der Ausgangsbescheid vom 27. Januar 2011 enthält Ermessenserwägungen, indem ausgeführt wird, dass das Gebäude bei Erwerb des Nachbargrundstücks durch die Kläger bereits vorhanden gewesen sei, diese selbst den Zustand über Jahre hingenommen hätten, und eine Nutzung zu Wohn- oder Ferienwohnzwecken nicht zu erwarten sei; die Probleme der Überbauung sollten auf zivilrechtlichem Wege geregelt werden. Der Widerspruchsbescheid vom 21. August 2012 enthält allerdings keine Ermessenserwägungen, weil dort eine Verwirkung des nachbarlichen Abwehrrechts angenommen wurde; deshalb sei der Widerspruch als unbegründet zurückzuweisen. Dadurch wird der Ausgangsbescheid aber nicht in dem Sinne überholt, dass ein Ermessensausfall anzunehmen und die nachträgliche Ergänzung von Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren nicht mehr möglich wäre. Die entsprechenden Erwägungen sind vielmehr gemäß § 114 Satz 2 VwGO zu berücksichtigen und führen insgesamt – auch wenn sie nicht alle gleichermaßen Gewicht haben: dass das Gebäude als Nebengebäude „in einem geringeren Ausmaß und etwas weiter nördlich angeordnet auch heute noch bauplanungsrechtlich zulässig“ wäre, dürfte ebenso wenig von Bedeutung sein wie dass die Überbauung mit 1,3 % nur einen geringen Teil des Nachbargrundstücks einnimmt – zu einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung. Ein Anspruch auf Neubescheidung kommt daher nicht in Betracht.

Autor: Professor Dr. Karsten Simoneit

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